Kartoffelfeuer (12)

Die schulfreie Woche im Oktober hieß in Ostdeutschland bis weit in die 60er Jahre Kartoffelferien. Alles was zupacken konnte, rückte dann als Erntehelfer aus, die Menschen aus den städtischen Betrieben und die Schulkinder auch.
20 Pfennige brachte ein gelesener Kartoffelkorb. Noch gab es die großen Erntemaschinen nicht. Man brauchte jede Hand. Erst mit der neuen Technik wandelten sich jene meist verregneten Ernteschlachten in echte Herbstferien. Und wohin fuhr man? Aufs Land.
Dort unterhielten die Familien noch kleine private Äcker. Auch der Model-Hof. Selbstverständlich halfen wir beim Kartoffel-Lesen. Wir kannten es ja nicht anders. Einzeln mussten noch die Knollen vom Boden aufgesammelt und sortiert werden. Die Guten und Großen landeten in den einen Korb, die Kleinen und die Krepel in einem zweiten. Angehackte Kartoffeln kamen als Tierfutter in einen Eimer. War ein Korb voll, schleppten wir ihn zum Wagen, wo die Feldfrüchte in Säcke kamen. Etwa eine Woche dauerte die Ernte. Aber zum Ende wartete auf uns eine schöne Herbstfreude.
Paul hatte das Kartoffellaub zu einem riesigen Haufen zusammengeharkt, und wenn es dunkel wurde, zündete er die trockenen Kartoffelblätter an. Weit sichtbar stieg erst weißer Rauch auf, dann brannte das Feuer schnell den Haufen nieder. Es roch unverwechselbar nach Herbst. Wenn die Flammen nicht mehr züngelten, warfen wir Kinder Kartoffeln in die heiße Glut und warteten bis sie äußerlich ganz schwarz-verbrannt aussahen. Schließlich wurden sie mit einem Stock aufgespießt und aus der Asche geholt. Keine Pellkartoffeln schmecken so gut wie diese zum Erntefinale.

Heilige Kartoffel Zeichnung von Petra Elsner
Heilige Kartoffel
Zeichnung von Petra Elsner

Großmutters Mappe verrät zum Thema Pellkartoffel etwas völlig anderes:

Pellkartoffel-Wickel:
Bei Halsweh: Gekochte Pellkartoffeln in ein Leinentuch wickeln und so heiß wie möglich auf den Hals legen. Damit ins Bett und warm einmummeln. Wenn der Schweiß auf die Stirn tritt, 20 Minuten schwitzen lassen. Danach baden, anschließend Bettruhe in frischer Schlafwäsche. Anderentags tritt Besserung ein.

 

aus “Die Mappe meiner Großmutter”, hangebundenes, limitiertes Künstlerbuch.
Die Texte entstanden zuvor für eine naturfeulletonistische Zeitungskolumne. Dieses Potpourri aus Erinnerungsgeschichten half mir eine Trauerarbeit zu leisten. Der Titel adaptiert Adalbert Stifters “Die Mappe meines Urgroßvaters” – Frauen haben eben auch Geheimnisse. Und bei mir war es an der Zeit, nach den guten Dingen in meinem Leben zu suchen. Ich fand sie in den Ferienzeiten bei meiner Großmutter in der Oberlausitz …

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3 Gedanken zu „Kartoffelfeuer (12)“

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