In dieser Pfingsthitze ist es im Schatten unseres Lindenbaumes gut auszuhalten. Die Blüte beginnt gerade, und es summt wie irre im Blattwerk. Als wir vor sechs Jahren in das Schorfheidedörfchen Kurtschlag zogen, war es Februar, und ich dachte, das dünne Bäumchen da hinten, auf der kahlen Wiese, wäre eine junge Kirsche. Aber als der Stamm Blätter schob, war klar, dies will ein großer Mutterbaum werden – eine Linde. Die Entdeckung war mir eine stille Freude, denn es war ein Lindenhof, auf dem in meinen Kindheitserinnerungen das Glück wohnte.
Der letzte intakte Hof unserer Familie war nach dem zweiten Weltkrieg der Model-Hof am Oberreichenbacher Dorfeingang. Dort lebte Paul, der jüngere Bruder meiner Großmutter Selma, mit den Seinen. Eine steile Abfahrt führte in die Senke zu dem bäuerlichen Anwesen in der Oberlausitz. Den gesamten Vorplatz beschirmte eine gigantische Linde. Mütterlich verströmte sie einen weichen, süßen Duft – der ein lindes, leichtfüßiges Leben gaukelte. Aber so war es wohl dann doch nicht.
Paul hatte zwar stets und ständig den Schalk im Nacken, aber seine junge Frau Hilde, schien mir den Hof noch in den 60er Jahren in einer Art Rundumverteidigung und rau wie ein Feldwebel zu führen. Gegen die Hamsterer und Flüchtlinge aus Schlesien, zu denen auch meine Familie zählte. Das aber war längst Geschichte. Dennoch blieb der Ton derb und für die entfernteren Verwandten etwas unnahbar. Immer montags kaufte ich für Großmutter einen Liter Milch in der Alu-Kanne und sechs „arschfrische“ Eier bei der wilden Hilde. Mit etwas Unbehagen, denn man wusste ja nie, welcher Donner einen gerade wieder ereilte. Ich sehe sie noch, wie sie mit einem Beil in ihrer prallen Üppigkeit unter das Vordach trat, um nach einer passenden Henne für die Suppe Ausschau zu halten. Dann grummelte sie trocken: „Welche kiekt albern?“ Adlergleich war die Schlappste ausgemacht. Batsch – ein Schlag, und das Huhn hatte sein Leben ausgehaucht. So etwas hinterlässt nicht nur bei den Hühnern Respekt. Paul kommentierte Hildes Ansagen mit Blick auf die Töchter: „Dass mir jetzt keine den Kopf hängen lässt! …“
Wenn ich winterwärts daheim Lindenblütentee vom Model-Hof mit Honig gegen die einschlägigen Erkältungen schlürfte, stiegen mit seinem Duft die Sommerfreuden wieder auf, und es machte sich in mir eine Sehnsucht nach jener lebenstüchtigen Großfamilie breit. (pe)
Lindenblätter
Zeichnung: pe
Aus der Mappe meiner Großmutter:
Lindenblütentee lindert die Winterkrankheiten: Schnupfen, Husten und Bronchitis. Man sammelt die Blüten im Juni/Juli, trocknet sie auf einem Tuch und bewahrt sie dann gut verschlossen auf. Die Blütenheilkraft hält nur ein Jahr! Auf eine Tasse kommen zwei Teelöffel der Blüten, mit kochendem Wasser überbrühen, 10 Minuten bedeckt ziehen lassen und mit Honig süßen.
Merkzeichen für alle Tee-Rezepte: Die Dosierungen gehen von getrockneten Kräutern aus. Werden frische Kräuter verwandt – etwa viermal mehr Kräuter veranschlagen, um die gewünschte Wirkung zu erzielen.
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Ein Gedanke zu „Die Linde im Hof (6)“