Morgenstunde (99. Blog-Notat)

Petra Elsner: NARRENHAUS, 70×100 auf Karton, Mischtechnik aus Beize und Acryl, 2000

„Die Menschen wollen das, also tun wir das!“ – Jean-Claude Junkers Ansage zu Abschaffung der Sommerzeit, das ist doch mal was Erfreuliches. Aber davor stehen noch Parlamentsdebatten der EU und der Mitgliedsländer. Es wird also nicht sogleich und nicht sofort. Den Halbsatz „Ab sofort – denke ich. Unverzüglich.“, habe ich nur einmal in meinem Leben bewusst gehört: In Günter Schabowskis berühmter Pressekonferenz im Herbst 1998 zur neuen Reiseregelung, wonach die Mauer am 9. November gewissermaßen „überrannt“ wurde. 1989 hatten die Menschen monatelang mit den Füßen abgestimmt, in heutigen Tagen waren es 5 Millionen via Internet. Das sollte für das Kippen der Zeitumstellung reichen. Aber diese ganze Aktion ist nur ein winziges Wohlfühlpfaster auf den Wunden der Zeit. Die eigentlichen Probleme aus der Globalisierung und dem folgenden Rechtsruck in Europa sind damit nicht ansatzweise berührt. Und es ist ja nicht nur die Globalisierung, die die Menschen verunsichert und den Menschenfängern in die Arme treibt. Es ist die jahrzehntelange Ignoranz der Macht. Unter der Decke der Erbschande der Deutschen wuchs das Lager der Rechten langsam, fraß sich in die Instanzen in Ost und West, unterwanderte Armee und Polizei und bekam Schübe aus den vielschichtigen Untergängen. Fehlerhafter Strukturwandel und Rückzug des Staates aus der Fläche gaben ihnen Räume. Und nun sind sie unübersehbar. Nicht nur in Sachsen. Das Problem nährt sich aus Altem und Neuem, aber hingesehen wurde einfach zu lange nicht. Spielt nicht mit den Schmuddelkindern… Ich habe Anfang der 90er eine emotional sehr schmerzhafte Analyse dieses Zustandes – des rechten und auch linken Extremismus in Berlin-Brandenburg in einen Jugendroman gesteckt. All mein Wissen floss darin ein und ich sah in der Niederschrift eine Chance, Einfluss zu nehmen, aber der Stoff interessierte in Deutschland nicht, damals, in jener Zeit, als man den Ostdeutschen viel ihrer Würde nahm: keine Arbeit, kein Ansehen, kein echter Einfluss. Ostdeutschland gehörte sehr schnell den anderen und sie halten diese Stellung bis in die heutige Zeit. Ich bin sehr müde geworden, damals in diesen Kämpfen um Akzeptanz und Wahrnehmung und ich glaube inzwischen, das war auch so gewollt.

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