Morgenstunde (522. Blog-Notat)

Wir waren unterwegs ins Erzgebirge, um mit dem Vater seinen 93. Geburtstag ein bisschen zu feiern. Aber nach Frohsinn war dem alten Herrn nicht so recht. Er hadert mit seinen alten Knochen und dem brüchigen Leben, was zu verstehen ist. Aber in den Gesprächen führt es zu Wortfindungsproblemen. Das Leben auf der letzten Stufe ist schwer. Das Beste und Aufmunternde, was ich je zu diesem Thema las, fand ich bei Hermann Hesse:

Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

Ich wünschte, in diesem Sinne selbst die Stufen des Lebens nehmen zu können und der Vater auch, es hilft wohl, sich die Hesse-Zeilen immer mal wieder zu bedenken. In der Nacht zu Samstag begann es auch im Erzgebirge zu stark zu regnen. Ich war schlaflos mit den Hochwasserbildern aus Westdeutschland im Kopf. Auf der Rückreise fuhren wir gestern Nachmittag bei Finsterwalde in starke Gewitter hinein. Es pladderte gigantisch und im Radio kamen die ersten Hochwasserwarnungen von der Neiße. Als wir im Schorfheidewald ankamen, lag hier sommerliche Hitze über dem Land. Heile Welt, während in Rheinland-Pfalz, NAW und nun auch in der Oberlausitz, Bayern und Österreich Existenzen vom Hochwasser verwüstet  wurden, werden. Ein seltsames Gefühl.

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