Märchenzeit

Die Stallweihnacht

Das Feuer im Kamin knackte und tanzte, aber im Stall war es noch kalt.  Marie fröstelte, während sie ein weißes Tuch über den großen Esstisch warf. Den ganzen Sommer über hatte sie mit ihren Freunden den alten Stall entrümpelt, gekärchert, die Fenster abgebrannt, geschliffen,  gefirnisst und schöne alte Dinge aus der Scheune zum dekorativen Leben erweckt, um in diesem urigen Ambiente die Weihnacht zu feiern. Fern vom Lack der Stadt und ihrem Getöse. Gemeinsam wollten sie den Baum schmücken, doch Marie war allein. Es schneite seit Tagen und der Hof im Ausbau lag abgeschnitten in der ländlichen Weite. Max war auf der Autobahn in eine Karambolage geraten, und die Freunde Sophie und Johannes saßen mit ihren Zwillingen im Züricher Flughafen fest. „Hier geht nichts mehr“, simste Sophie. Doch von irgendeinem Hoffnungsfunken angetrieben, bereitete Marie das Fest vor. Neunerlei Speisen würde es geben, so wie es Großmutter immer zur Heiligen Nacht auftischte.  Im Mai hatte Marie ihren Katen geerbt und wollte ihn als stilles Sommerquartier nutzen. Im Dorf fand das keiner so richtig gut. Nur der Ortsvorsteher sprach aus, was alle dachten: „Wieder ein Haus mehr ohne Augen im Winter.“ Doch dann kam alles ganz anders.

Marie stützte ihren Rücken mit den Händen, um von ihm kurz die Last ihres Leibes zu nehmen. Dazu flüsterte sie: „Alles wird gut, du wirst im Grünen leben.“  Es dämmerte draußen. Während die Frau das Kerzenlicht in den Stalllaternen anzündete, brach die Musik im Radio jäh ab. „Auch das noch!“, fluchte Marie. Der Strom war weg. Ein Blick aus dem Fenster verriet, dort hinten, wo das Dorf lag, herrschte auch Finsternis, sie brauchte also keine Sicherung zu suchen. Marie hockte sich in den Schein des Feuers und wartete beklommen. Eine Stunde vielleicht. Da tuckerte plötzlich schweres Motorengeräusch heran. „Hallo, jemand Zuhause? Ich bringe den Baum“, polterte es an der Tür. Marie erkannte die Stimme von Förster Paul und öffnete die Haustür. „Hallo kleine Frau, weil der Mann den Baum nicht geholt hat, dachte ich, es ist was passiert und wollte einfach nachsehen. Ist alles in Ordnung?“ „Ja schon, bis auf Schnee, Stau und flüchtigen Strom!“ Marie lächelte, als sie sah, dass der Mann mit dem Schneepflug gekommen war: „Oh, toll, da wird mein Max vielleicht doch noch heute durchkommen.“ „Jedenfalls das letzte Stück ist frei“, brummte Paul in seinen verschneiten Bart. Wohin soll denn das Prachtexemplar“, kam er wieder zur Sache, und Marie deutete hinunter zum alten Stall. „Och, das ist ja romantisch hier! Wo ist denn der Baumständer, ich setze ihn gleich ein.“ Und das tat er dann auch. Marie reichte Paul einen heißen Pott Kaffee und seufzte, „was für eine schöne Tanne! Nur werde ich sie wohl ganz alleine bestaunen.“ Paul räusperte sich und druckste: „Ich muss dann mal wieder.“

Zwei Stunden weiter hatte Marie den Baum festlich geschmückt. Der Strom fehlte immer noch, als es abermals an der Haustür klopfte. Es waren drei Männer in Overalls, die frierend von einem Bein auf das andere traten. „Frohe Weihnachten! Entschuldigen Sie, Frau, wir sind mit dem Werkstattwagen im Schnee steckengeblieben“, sprach der Älteste. „Können wir uns bei Ihnen ein wenig aufwärmen?“ Marie war die Situation nicht geheuer, aber sie sah in den Augen der schlotternden Gestalten keine Arglist. Es war ihr nicht recht, aber sie sagte: „Dann kommen Sie schon herein.“
Sie hatte begonnen auf dem Kaminofen ihr Festmahl zu bereiten, dabei erklärte sie den ungebetenen Gästen: „Dieses Essen symbolisiert Lebenswünsche. Hier, die Bratwurst und das Sauerkraut bewirken Herzhaftes und geben Kraft. Die roten Rüben stehen für Freude. Brot und Salz bringen Segen ins Haus und gute Gäste. Schweinebraten mit Klößen bedeuten Wohlstand und viele Taler. Kartoffelsalat steht für Fleiß und Sparsamkeit, die Linsen für Kleingeld, der Sellerie für Fruchtbarkeit. Nüsse schenken ein langes Leben und die Milch die Schönheit.“  Die Männer am Tisch strahlten, aßen genüsslich und erzählten sich die Weihnachtsbräuche ihrer Familien. Dann legte sich die Stille im Stall wie Tau auf die Seelen der Menschen darin. Max staunte nicht schlecht, als er im Morgengrauen drei schlafende Männer im Heu entdeckte: „Kaspar, Melchior und Balthasar“, witzelte er.  „Nein, Karsten, Mike und Bodo, nicht die Heiligen drei Könige, und das Kindchen ist, Gott sei Dank, auch nicht gekommen“, erwiderte der Ältere und rieb sich dabei die Nacht aus den Augen.  Als Marie erwachte, waren die Blaumänner längst aufgebrochen. Max hatte ihren Werkstattwagen mit dem Trecker aus der Schneewehe gezogen, so konnten sie endlich aufbrechen. Im Briefkasten steckte ein schmuddeliges Kuvert. „Danke!“ stand auf einem Zettel, und dabei lag ein kleines Goldstück, etwas Myrrhe und Weihrauch.                                         

Text & Zeichnungen: Petra Elsner, die Geschichte befindet sich in meinem Weihnachtsbuch “Von der Stille des Winters”.

 

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