Alltag 8, Juni 2019:
Die „Dinge des Alltags – das Immerwiederkehrende“ – ist das Jahresprojekt der Bloggerin Ulli Gau, an dem ich mich beteilige und 12 Monate lang immer am 1. Monatswochenende etwas aus meinem Alltag vorstelle …
Diesmal: Das Lampenfieber

Immer wenn ich meine Haut zu Markte trage, ist es da: vorher, auf dem Weg und währenddessen. Ich habe auf meinem Blog schon oft über mein Lampenfieber gesprochen (zum Beispiel hier). Einfacher ist es in einem sportlichen Wettkampf zu starten. Man läuft, schwimmt, radelt so gut man kann und erwirbt sich indem einen Platz. Klar und eindeutig. In den künstlerischen Genres ist das anders. Hier schlägt der subjektive Faktor zu – man wird individuell bewertet und dann irgendwo hingeschoben – auf ein Treppchen oder ins Aus und später in eine von den vielen Schubladen. Dieses subjektive Werten ist des Pudels Kern, der mein Lampenfieber anschiebt. Inzwischen legt es sich meist nach den ersten Sätzen, aber davor geht es mir einfach nicht gut. Ich tigere rastlos im Haus herum, gehe meinem Liebsten mit diesem Geflatter auf die Nerven, ich bin fast krank. Die Stresshormone fahren Achterbahn. Gott sei Dank bin ich damit nicht allein und es ist nicht mehr die Redeangst von einst, die ich mühselig in den letzten zehn Jahren überwunden habe. Bewertungsstress ist immer noch, aber ich habe mir Rituale geschaffen: Tage zuvor sind die Seiten ausgewählt und das Lesen trainiert. In der letzten Stunde vor dem Auftritt mache ich Reiki- und Atemübungen. Ich versuche die Momente vor der Lesung mit dem Publikum zu genießen, was immer öfter gelingt. Aber man kann nicht alles trainieren. Die Preisverleihung in Schwedt beispielsweise war so aufregend für mich, dass meine Lesekonzentration nicht die inzwischen Gewohnte war. Menschlich vielleicht.
Auslöser einstige Redeangst, so vermute ich, sind Erinnerungen, die mir in Mark und Bein saßen: Hat doch einst mein strenger Vater mir an einem kühlen Strandtag in Kölpinsee die Tageszeitung des ZK der SED „Neues Deutschland“ auf die Beine gelegt und meinte: „Komm, Brille auf und laut Vorlesen üben!“ Er zeigte auf einen Artikel auf der Seite 1. Ich stammelte mich ganz fürchterlich mit dem Protokoll-Deutsch ab. Ich war Zweitklässler! Der Silbensalat muss sich katastrophal angehört haben und mein Vater ließ mich spüren, wie sauer er war. Mit einem schönen Buch wäre das nicht so gewesen… Diese Begebenheit saß mir jahrelang im Nacken. Erst als ich es familientherapeutisch Aufstellen ließ, verschwand schlagartig die panische Vortragsangst und wandelte sich in ein landläufiges Lampenfieber, was mir wohl bis ans Ende meiner Tage erhalten bleiben wird.

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Liebe Petra, solch eine Prägung ist nun wahrlich fürchterlich, gut, hast du das überwinden können! Als ich noch Theater gespielt habe, hatte ich IMMER Lampenfieber und hörte immer wieder, dass dies gut sei, da man sich dann besonders konzentriert!
Vielen herzlichen Dank für deinen Beitrag,
liebe Grüße
Ulli
Freunde sucht man sich aus, Väter nicht. Die Kinder der 50er Jahre sind oft sehr vernachlässigt und hart angefasst worden. Danke liebe Ulli für Deinen Zuspruch, den Du doch gerade selbst sehr brauchst. Ich wünsche Dir Kraft und alles Liebe.
Liebe Petra, ich bin froh, dass du heute nur noch unter Auftrittsangst leidet. Dies soll ja angeblich die Konzentration verbessern. Ich dagegen scheue alle öffentlichen Auftritte, aber wer weiß schon, was mal passieren wird 😉
Lieber Arno, das verstehe ich gut – diese Scheu. Ich finde nicht, dass Angst die Konzentration beim Vorlesen schärft. Weil in der Angst schwebende Gedanken vom Vorlesen ablenken… wie auch immer, der Schreiber muss irgendwann da durch… Einen entspannten Abend wünsch ich Dir!