Sagenspiele als Schulprojekt

Eine Themenfigur zu den Sagenspielen.
Mein kindlicher Kobold für die Sagenspiele. Zeichnung: Petra Elsner

Wie alles begann:

Bei einem Atelierbesuch zweier Lehrerinnen im vergangenen Winter fragten mich die Frauen, ob ich auch in Schulen lesen würde. Ja, na klar. Aber plötzlich wurde im Oktober aus der Lesung ein PROJEKT. Hm. Das hatte ich noch nicht, aber morgen ist  gewissermaßen das Debüt dazu. Es hat ein wenig mehr Vorbereitung gebraucht. Nicht der Texte wegen. Die waren ja längst geschrieben. Es brauchte für die Grundschüler verschiedene Ausmalblätter zu einer Bernauer Sage und zwei Figuren – einen kindlichen Kobold und eine zarte Fee – die als Sympathieträger und Zugang zu den alten Sagen fungieren. Drückt mir die Daumen…

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Freundliche Ankündigung in der Presse

Besprechung der Weihnachtsgeschichten
Zeichnungen und Geschichten zur Winterzeit. Ein Artikel im Märkischen Markt.

Der Pressetext:

Geschenkbuch  “Von der Stille des Winters”

Seit 19 Jahren schreibt die Autorin und Illustratorin Petra Elsner Weihnachtsgeschichten für den Märkischen Markt und das wird auch dieses Jahr wieder so sein. Wie es dazu kam, dass sie Weihnachtsgeschichten erfinden wollte, erklärt sie so:

„Wenn es am 24. Dezember endlich dämmerte, zog mein Vater mit seinen zwei kleinen Töchtern um die Höfe und spielte mit uns unterwegs: ‚Wer entdeckt den ersten Weihnachtsbaum hinter den Fenstern?‘ Danach begannen wir Mädchen zu betteln: ‚Ach, Vati, erzähl uns doch eine Geschichte!‘ Und er begann uns jedes Jahr wieder mit dieser Endlosgeschichte zu foppen:  ‚Es war einmal ein Mann, der hatte sieben Söhne. Da sagten die Söhne, Vater erzähl uns eine Geschichte. Da fing der Vater an: Es war einmal ein Mann, der hatte sieben Söhne …‘   Ich glaube, er kannte keine andere Geschichte. Wir Kinder waren immer einigermaßen froh, wenn der Spaziergang gegen 16 Uhr endete und uns ein Glöckchen ins Weihnachtzimmer rief, wo eine prächtige Kiefer, geschmückt mit roten Kugeln, Lametta, weißen Lichtern und funkelnden Wunderkerzen, uns erwartete. Dieses Anstaunen des funkelnden Baumes war für mich der schönste Moment vom ganzen Fest, bei dem die gesamte Familie beieinander war, die Alten und die Jungen. Es gab knusprige Nussplätzchen und selbstgebackenen Stollen. Oma sang mit brüchiger Stimme ‚Stille Nacht…‘ und Mama zupfte dazu die Laute. Es blieb für zwei Generationen genauso.Als meine Eltern nicht mehr lebten, begann ich  Weihnachtsgeschichten zu erfinden. Mein Sohn war längst erwachsen, doch ich hatte plötzlich das Bedürfnis, etwas in diese Zeit zu legen – eine freundliche Zutat für ein festliches Miteinander. Erst für Freunde, dann auch für Zeitungsleser, jedes Jahr eine neue und so kam es, dass ich mit diesen Geschichten in die Advents- und Weihnachtszeit anderer Familien geriet.“

Alle diese Geschichten erschienen 2013 zunächst mit Softcover in der Verlagsbuchhandlung Ehm Welk Angermünde als „Dezemberlesebuch“. Die Auflage ist inzwischen vergriffen. Nun kommt es Ende November 2016 zu einer stark erweiterten Neuherausgabe mit Hardcover und Lesezeichenbändchen. Sie erscheint unter dem Titel: „Von der Stille des Winters“. Die Geschichten spielen in der Uckermark, dem Barnim und der Stadt Berlin. Es sind berühren­de, besinnliche, fest­liche, frohstim­mende Erzählungen und moderne Märchen, die sich hier zu einem heimatlichen Lese- und Geschenkbuch für die ganze Familie versammelt haben.

 

Ab Ende November 2016:

Petra Elsner: „Von der Stille des Winters“, Winter-, Weihnachts- und Jahresendgeschichten, 92 Seiten, Hardcover, mit zahlreichen Illustrationen der Autorin, Preis: 19,99 Euro, ISBN 978-3-943487-79-4

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In der Druckerei …

Cover

So wird es aussehen – das neue Cover zu meinem komplett überarbeiteten Winter-Weihnachtsbuch. Es wird mehr als nur eine erweiterte, zweite Auflage des Dezemberlesebuches sein. Unterwegs entpuppt sich die Anreicherung des Buches als Neuherausgabe mit neuem Titel, mehr Geschichten, Hardcover und Lesezeichenbändchen. Der Verlag hat sich wahrlich Mühe mit dem Geschenkbuch  gegeben! Ende November kommt das Buch für die ganze Familie aus der Druckerei.

 

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Schorfheider Winterkarten – ein Kartenset

Der Kartenset
Schorfheider Winterkarten von Petra Elsner

Nach dem Wintermarkt in Annenwalde wurde ich heute im Netz gefragt, ob meine Schorfheider Winterkarten auch online bestellbar sind. Nun möchte ich hier kein Lädchen aufmachen, aber für das saisonale Kartenset würde ich mal eine Ausnahme starten.

Die märchenhaften Winterkarten zeigen: das Kirchlein im Grünen, das Hotel Döllnsee, den Kaiserbahnhof von Joachimsthal, den Askaniaturm von Eichhorst und die Kirche von Groß Schönebeck. Das Set kostet 5 Euro, zzgl. Versand von 1,45 Euro.

Via Mail: petraelsner@gmx.de  bestellbar.

 

Hier noch einmal alle Motive etwas größer:

Askanierturm Eichhorst, Zeichnung von Petra Elsner
Askanierturm Eichhorst,
Zeichnung von Petra Elsner
Kaiserbahnhof Joachimsthal. Zeichnung von Petra Elsner
Kaiserbahnhof Joachimsthal.
Zeichnung von Petra Elsner
Kirchlein im Grünen - Alt Placht. Zeichnung von Petra Elsner
Kirchlein im Grünen – Alt Placht.
Zeichnung von Petra Elsner

 

Kiche von Groß Schönebeck mit weißem Hirsch. Zeichnung von Petra Elsner
Kirche von Groß Schönebeck
Zeichnung von Petra Elsner

 

 

Hotel Döllnsee. Zeichnung von Petra Elsner
Hotel Döllnsee
Zeichnung von Petra Elsner

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Eröffnete Winterzeit

Ein bisschen kaputt war frau dann schon nach dem großen Besucherauftrieb in der Gestütsscheune.
Ein bisschen kaputt war frau dann schon nach dem großen Besucherauftrieb in der Gestütsscheune von Annenwalde.

Der “Winterliche Scheunenmarkt 2016” in Annenwalde ist Legende. Die Wiedergeburt des beinahe beerdigten Festes war ein gelungenes, regionales Ereignis. Nach neun Stunden stehend bin ich jetzt hübsch plattfüßig und müde. Danke allen, die meinen Stand  besucht haben.

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Aufbruch zum Scheunenmarkt in Annenwalde

Annenwalde
Annenwalde

Das Atelier gleicht einem Chaoshaufen. Ich packe für den Winterlichen Scheunenmarkt in Annenwalde. Und wäre da nicht diese logistische Klippe zu nehmen, ich wäre in ungetrübter Vorfreude. Denn nicht nur für die Besucher des feinen Arrangements in der großen Gestütsscheune ist der morgige Tag ein stimmiges Erlebnis, auch für mich selbst. Es ist der Tag an dem für mich die Adventszeit anklingt. Die Neuherausgabe meiner Winter- und Weihnachtsgeschichten wird da noch nicht vorliegen. Mittwoch konnte die Korrektur abgeschlossen werden, Ende November wird es dann erhältlich sein. Hardcover, neuer Titel, neue Gestaltung, die das „alte“ Dezemberlesebuch in sich aufnimmt, sechs neue Geschichten reichern das Werk an. Morgen, am 19. November 2016, bin ich in der Zeit von 11 bis 18 Uhr, bei Kitty Weitcamps „Winterlichen Scheunenmarkt“ mit einem Stand dabei. Im Gepäck habe ich Bilder, Cartoons, alle meine noch erhältlichen Bücher („Schattengeschichten aus dem Wanderland – Schorfheidemärchen“, „Wallos seltsame Reise“, „Meander Memolos Zeitloch“, „Der Schatz der Baumriesen“, „Stumme Gänse – Gans köstlich“, „Vom Duft der warmen Zeit“), handgebauten Künstlerheftchen und vier Rabenkaten. Vielleicht sieht man sich.

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Das Schorfheidemärchen “Die Geistereichen”

Morgen lese ich wieder einmal aus “Schattengeschichten aus dem Wanderland – Schorfheidemärchen” in der AWO von Finow.  Ich habe dafür meine Illus zu den Geschichten ausgedruckt und laminiert. So können die Blätter während der Lesung von Hand zu Hand gehen.  Hier eine Leseprobe:

Die Geistereichen Zeichnung: Petra Elsner
Die Geistereichen
Zeichnung: Petra Elsner

Die Geistereichen:

In einer Vollmondnacht erwachten plötzlich die Blitzgetroffenen zu neuem Leben. Sie scharrten mit ihren losen Wurzeln und schauten einander staunend an: der brüchige Galgen, der schwere Mooshammer und die bucklige Riesennase. Dort, wo die Drei standen, an einem Kreuzpunkt über Wasseradern, wuchsen sie seit über 600 Jahren zu mächtigen Bäumen heran, die allerdings wie Blitzableiter wirkten. Unzählige Male durchzuckten ihre Stämme feurige Schläge, bis sie, gespalten und geköpft, leblos in den Himmel stachen. Ihr morsches Holz zog mit der Zeit ein Moosgewand an, und aus ihren Aststümpfen grinsten Geisterfratzen.

In jener Oktobernacht betrat ein Einhorn schnaufend die Lichtung. Sein Atem dampfte, und es tänzelte nervös auf der Stelle. Seit sieben Jahren kam der weiße Hengst stets in der ersten kalten Herbstnacht an diesen Ort, um nach einer Stute zu rufen, doch nie wurde er bisher erhört. Statt einer schönen Gefährtin holte sein sehnsüchtiger Schrei immer etwas Seltsames ins wirkliche Leben zurück: eine vergessene Blume, einen weisen Druiden, ein Elfenkäuzchen. Dieses Mal weckte er die toten Eichen.

Zu ihrer Verwunderung konnten sich die Blitzgetroffenen bewegen, und da sie nur diese Lichtung kannten, schlürften sie einfach knarrend und sehr neugierig durch den Schorfheidewald. Nein, das Schreiten waren sie wirklich nicht gewohnt. Sie schaukelten und stolperten bedrohlich durch Hochwald und Schonungen. Die Stümpfe der Blitzgetroffenen fegten Nester aus den Büschen, ihre Wurzelfüße durchkämmten den Boden und ließen eine wüste Schneise hinter sich zurück. Schauerlich raunten sie in die Finsternis: „Zur Seite, hier kommen wir, die Geister-Eichen!“

Mit dem Morgengrauen war der Spuk vorbei. Dort, wo die schwarz-grünen Ungetüme das erste Licht traf, rührten sie sich nicht mehr von der Stelle und jene, die dem Schauspiel ängstlich beiwohnten, atmeten erleichtert auf.

Doch nur für ein Weilchen, denn zur nächsten Mitternacht erwachten die Eichen wieder, und polterten abermals ziellos durch den Wald. Seit dieser Nacht fürchteten sich die Geschöpfe des Waldes vor dem brüchigen Galgen, dem schweren Mooshammer und der buckligen Riesennase.

Das Einhorn drückte ein schlechtes Gewissen und zeigte sich niemandem, denn es fühlte sich für das Treiben der Geister-Eichen verantwortlich. Was, wenn der Hengst heute Nacht wiederholt den Mond anrufen würde? Noch niemals hatte er seinen Liebesschrei zweimal im Jahr  ausgestoßen. Der Vollmond war längs zum Ei geschmolzen und somit der Zauber der ersten Frostnacht gewiss erloschen. Aber was könnte schon geschehen? Der Hengst hoffte, irgendwie den Zauber auszutauschen.

Zur Mitternacht betrat er scheu die helle Lichtung. Aus der Ferne hörte er das Poltern der Eichen. Das Einhorn stieg auf seine Hinterhufe und röhrte mit der ganzen Kraft seines Leibes ´gen Nachthimmel, flehend, aber nichts geschah. Oder doch? Nein, sein Echo sprang nur noch von Baumwipfel zu Baumwipfel. Er schnaubte und tänzelte, um schließlich ein drittes Mal zu einem Schrei anzuheben. Der war so steinerweichend, dass alles um ihn herum zu weinen begann. Tausende von Tropfen tränkten wie Tau Landschaft und Boden, und da riss plötzlich die Finsternis auf, und eine weiße Stute betrat den magischen Kreis. Gleißendes Licht umschmeichelte die gehörnten Rösser, die sodann auf nimmer Wiedersehen im Glück verschwanden. Als die Dunkelheit an den Ort zurückfand, standen der brüchige Galgen, der schwere Mooshammer und die bucklige Riesennase wieder still und steif an ihren alten Plätzen, so als wäre nie etwas geschehen.

Petra Elsner
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Ende der Rückschau

Frostige Zeiten.
Frostige Zeiten.

Den Ausflug in die zwei Jahre kurz nach dem Mauerfall will ich hiermit beenden. Ihr wisst jetzt, es gibt dieses 100-Seiten-Notat, das im März 1992 endet. Wen das der Analyse wegen interessiert, der sollte sich einfach an mich wenden. Beim Nachlesen heute, bemerkte ich, es ist mir nicht mehr so nah, weil längst Geschichte. Ich stecke inzwischen in einem komplett anderen Leben. Nur manchmal, zu einem Datum wie den 4. November (die große Demo auf dem Alex 1989) tut das noch weh und eine große Sehnsucht nach den Träumen der Wende platzt auf.

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Wende-Strudel (5)

März ’91

Schizoid, aber da habe ich doch wirklich noch einen Teich im Hausgarten angelegt, obgleich doch völlig unklar ist: werden wir übers Jahr hier noch wohnen? Sicher ist nur, die Westeigentümer haben kein Interesse und wollen verkaufen. Aber wer im Ossiland hat schon eine halbe Million? Wenige. Und Kredite, ja wenn, dann, um sie in Arbeit zu investieren, denke ich. Ich schaue vom Wohnzimmerfenster aus stolz auf dieses beruhigende und nützliche Suchbild, während hinter mir eine Reportage vom Landessender Brandenburg flimmert. Westhäuser in Kleinmachnow, ihre früheren und jetzigen Bewohner werden befragt. Ein Wessi schnaubt und empört sich, sein In-Bälde-Wieder-Eigentum besichtigend „…die haben ja alles verkommen lassen…“. Da kocht es schon wieder in mir, dünnhäutig geworden, gegen solche Typen. „Alles verkommen lassen!“ Alles? Dieses „Alles“ bohrt. Ja, ich kenne ostdeutsche Städte, habe vieles verfallen sehen. Doch dieses „Alles“ stimmt einfach so dahingeschwätzt nicht und mit den Westhäusern hat es seine eigene Bewandtnis:

Das gelbe Haus. Zeuthen, Bahnstraße 10, anno 1990
Das gelbe Haus. Zeuthen, Bahnstraße 10, anno 1990

Das gelbe Haus

Dieses abgetakelte gelbe Haus an der Bahnlinie ‘gen Osten ist das Haus meines Lebens. Hier lernte ich laufen, zwischen Hühnerdreck und Mülllöchern, welche die Wirtin alljährlich im Garten ausheben ließ, um die Abfuhrkosten zu sparen. Die Schrödersche blieb in meiner Erinnerung eine zänkisch-knauserige und schroffe Person. Hinter dem Küchenfenster parterre lauerte sie unseren Kinderspielen auf. Wenn Mutter abgespannt vom langen Tag gegen 18.00 Uhr in der Veranda nach ihrem Hausschlüsselbund suchte, zog der graue Besen flugs die schwere Holztür auf und überfiel sie mit vorwurfsvollen Worten: „Frau Segert, ihr Kinder haben schon wieder…“ Ria Segert entzog sich höflich, laute Wortgefechte waren nicht ihre Stärke. Im Treppenhaus machte sich der süße Duft von Rias Parfüms breit. Signalhaft – ich komme, ihr Spatzen. Sie gab den Gram von der Treppe nicht an uns weiter. Stolz soll die Schrödersche gewesen sein, dass im Hause, seit es errichtet wurde, nicht mehr renoviert worden sei. Seinerzeit schrieb man das Jahr 1929. Als in den Fünfziger Jahren der Kessel für die Heizungsanlage reparaturbedürftig wurde, ließ sie lieber eiserne Öfen aufstellen. Den Erlös für die gebrauchten Heizkörper goss sie sich im „Haus Zeuthen“, einer rauchigen Bahnhofskneipe, hinter die Binde. ’61 war sie plötzlich weg. Bei den Kindern in Westberlin geblieben, hieß es. 1961 war ich acht Jahre alt. Der Fakt an sich blieb mir nur deshalb im Gedächtnis, weil ich eines Tages von der Schule kommend, vor unserer Gartentür eine mächtige Menschenansammlung vorfand. Niemand wollte mich durchlassen. „Wir stehen auch an!“, zischte es giftig aus der Menge. Irgendwie verwirrte mich das, denn es hatte an dieser Pforte noch nie etwas zu kaufen gegeben. Schließlich musste ich wahrhaftig über den hohen, wackligen Maschendrahtzaun steigen, um aufs Gehöft zu gelangen.

In der unteren Etage versteigerte man die Schröderschen Habseligkeiten. Zum ersten, zum zweiten und zum dritten dröhnte es noch Stunden hoch zu mir in den oberen Stock, wo ich mich zu meinem Wellensittich hingeflüchtet hatte. Meine große Schwester war noch zum Gitarrenunterricht, und mir war’s unheimlich mit den vielen Fremden im Haus.

Fortan, so schien es mir jedenfalls, sah das Haus bessere Zeiten. Die Bewohner mühten sich nach Kräften und entsprechend ihres schmalen Geldbeutels. Instandsetzungskredite für Mieter gab es nicht. In die Schröderschen anderthalb Zimmer mit Küche und Bad zogen zwei junge Leute ein. Ein Mittzwanziger mit seiner kränkelnden jüngeren Schwester. Vorn daneben wohnte noch die einsame Tante Hedi. Unter ihrem Fenster sähte sie jedes Frühjahr dieselbe Sommerblumensorte aus. Hedi’s Schwester und deren Sohn waren längst in den Westen geflohen. Der Junge soll geschmuggelt haben. Aber nichts Genaues drang an mich. Jetzt hatte Hedi wenigstens etwas Platz und brauchte nicht mehr in der acht Quadratmeter großen Küche auf einem mickrigen Kanapee zu schlafen. In der Schule saß sie an warmen Tagen kartoffelschälend vor der Küche und besserte sich so die schmale Rente auf. Still und freundlich. Auf das windschiefe Klo im Garten brauchte Hedi nun nicht mehr bei Wind und Wetter. Die jungen Leute boten ihr und uns die Badmitbenutzung an. Aus dem stinkenden Bretterverschlag machten sie Brennholz.

Nach und nach verschwanden die rostigen Küchenausgüsse, neue Kachelöfen kamen in jedes Zimmer. Die Innenwände sahen überall frische Farben. Zeitungen von Anno 1920 kamen unter der vergilbten Wohnzimmertapete ans Licht. Wer da so alles wofür annoncierte… – spannend. Wir verrenkten uns mit dem Spachtel in der Hand die Köpfe, denn Sahne und Butter gab’s noch auf Marken, und Fleisch zu holen, hieß Schlange stehen; wie für vieles andere auch.

Das verwahrloste Umland des Hauses wurde endlich zum Garten, mit jungen Obstbäumen und Blumen, Steingarten und einem Kräuterbeet, wie man damals halt Gärten anlegte. Den Müll holte jetzt der städtische Abfuhrbetrieb. Was das kostete, berappte die Wohnungsverwaltung von unseren kleinen Mieten. Wir kümmerten uns bei den Instanzen, zäh, hartnäckig und mit spitzer Feder, dass sie wenigstens das Notwendigste reparierten. Was gar nicht so leicht war. Westhäuser durften ja gesetzlich in ihrer baulichen Substanz nicht verbessert werden. Doch es fanden sich Wege, wenigstens den Verfall aufzuhalten. Allgemein möglich, wenn die Mieter nicht allenthalben wechselten. Sturmschäden beispielsweise, dafür gab es spezielle Fonds. So kamen wir nach einem der typischen Januarstürme, bei dem die Ziegel wie Blätter im Wind abhoben, zu einem neuen Dach. Oder, wenn Einsturzgefahren drohten und kleine Kinder im Hause lebten, ließ sich mit unermüdlichen Eingaben an die Wohnungsverwaltung etwas ausrichten. Man musste halt auch einigermaßen penetrant mit seinen Forderungen sein. Das brachte die neue Kellertreppe und eine Abwassergrube, neue Keller- und Küchenfenster. Das Bad fliesten wir selbst. Ernst und Ria bauten sich Gasheizungen ein, wir im Bad Therme und Gamat. Immerhin. Nur der Putz rieselte von Jahr zu Jahr mehr. Natürlich hätten wir auch gern das geändert und manches mehr modernisiert. Doch wer hier ehrlich lebte und kein Altvermögen besaß, dem war das mit seinem Einkommen kaum vergönnt. Obgleich Vater und Mutter vollbeschäftigt arbeiteten, sie als Rundfunkjournalistin, er als Ökonom, reichte ihr Verdienst meist nur über den Monat. Den dünnen Überhang sparten die Eltern für schlicht-nützliche Geschenke zu den Feiertagen und die alljährliche, sehr preiswerte Urlaubsreise im Land. Später erst, als wir zwei Geschwistermädchen aus dem Hause waren, konnten sich Ernst und Ria alle zwei Jahre eine Reise nach Bulgarien, Rumänien oder in die CSSR leisten. Ein Auto fuhren sie nicht. Dafür war das Haus an der Bahn immer reich an Gästen. Besonders sommerwärts, wenn der wilde Wein sein Gemäuer umschlang und die Tante-Hedi-Blumen blühten…

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Wende-Strudel (4)

Sibylle hat sich mehr gewünscht, also noch einen O-Ton:

Ein Wendemagazin
Ein Wendemagazin

Jetzt, Dezember 1990, da eigentlich alles der gelebten Jahre in Frage steht, der gesamte Existenzraum wankt und schlingert, da nicht einmal die Ausgangsfakten für ein Lebenskalkül gewiss sind, bedrängen mich die Erinnerungen. Der Alltag ist randvoll mit Hiobsbotschaften und längst ist das Maß der Erträglichkeit überschritten. Bedroht von erstmaliger Arbeitslosigkeit, nicht zu wissen, ob die Bildungs- und Berufsjahre noch anerkannt werden. Von Woche zu Woche hin- und hergerissen zu werden, zwischen Verkauf oder Konkurs der „eigenen“ Firma. Das heißt Produktionsstop am Montag und Wiederaufnahme am Mittwoch. Wir machen Zeitungen, die sich auf dem Markt im freien Fall befinden. Das Geld kommt jetzt monatlich von der Treuhand. Keiner weiß, was morgen ist, und das Gehalt reicht bis zum Ersten. Wir schweben indes weiter über dem Abgrund, in den wir seit Jahresbeginn sehen können, fast ausgelöscht. Zwölf Monate versuchten wir alle unsere fünfzehn Kinder- und Jugendzeitschriften neu zu profilieren. Das war ein Kraftakt ohne das nötige Geld, die einschlägige Lobby und auch ohne die eigentlich notwendige Konsequenz der Beschränkung.

Abends gehe ich durch unser seit achtunddreißig Jahren gemietetes Zweifamilienhaus am Rande der Stadt, als wäre ich schon nur noch ein Gast hier. Es ist ein Westgrundstück. Die Fernsehnachrichten des Tages machen die Verletzungen für diese vierundzwanzig Stunden komplett. Wie lebt man in solchen Zeiten, wo ist der Ort, der einem nicht eben gerade streitig gemacht wird?

Ich bin in der friedlichen Illusion aufgewachsen, dass die Geschichte Deutschland für immer geteilt hat. Ich kannte das andere nicht. Und was hier gewachsen ist, glaubte ich reformierbar. Denn ich traue den Menschen auch den friedlichen Wandel zu. Doch nach welchem Bilde? Das war nach dem Wendemonat Oktober ’89 nicht genug klar, und Zeit, dies herauszufinden, gab es nicht. Vor dem Anschluss fragten die Talkshow-Master noch höflich, was es denn sei, was wir ins geeinte Deutschland einzubringen hätten. Oft antwortete es, dieses Undefinierbare für Wessi’s: „menschliche Wärme“. Der Verfassungsentwurf des „Runden Tisches“ war noch nicht geschrieben, und die Menschen in Ostdeutschland diskutierten das Thema Schuld und Niedergang. Alles dennoch Wertvolle in 16 Millionen Menschenleben schien verschüttet, denn sie waren ja damals schon aus dem vertrauten Leben in einen Strudel gerissen, woraus schlecht eine Draufsicht auf die Vergangenheit zu bekommen ist.

Jetzt, da man im Begriff ist, gänzlich zu verlieren, treten die Dinge im Gedächtnis an, wie bei einem Sterbenden. Vorsichtig, weil jedes Detail schon allein diskreditiert ist durch seinen Existenzrahmen im deformierten “Sozialismus”. Und die Folge daraus: der deformierte Ossi-Mensch, der durch die Debatten schwappt, als missbrauchte, krankhafte Figur, die nun – peinlich berührt von ihrem Selbst – wieder schweigt. Doch ich lebe ja noch, stürze nur innerlich. Besinnung und Leben im Augenblick scheinen mir wenig verträglich. Momentan jedoch pendele ich stündlich zwischen diesen Daseinssituationen …

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