Morgenstunde (11)

In den Zeitenwind gesprochen.
Foto: Petra Elsner

Vor nicht allzu langer Zeit wurden die jungen Schreiber von erfahrenen Redakteuren unter die Flügel genommen. Denn so lernt man am besten fliegen (nicht wahr Gitta?). Gemeint ist eine fachlich, stilistisch und journalistisch solide Arbeit. Dabei ging es nicht nur um kompetente Recherche, sondern auch und vor allem um Augenmaß und Verantwortung. Ein Gespür für die Folgen einer Headline zu entwickeln. Das alles gibt es heute kaum noch. Denn die alten Redakteure hocken auf ihrem Erfahrungsberg wie auf einem Goldschatz und hüten ihn verschlossen. Doch das ist keine Rückversicherung für das Verbleiben in den Redaktionsstuben. Längst gehen Sensation und Originalität vor Qualität und Mitmenschlichkeit. Berufsethos – was ist das heute noch?
Mein „Meister“ war einst der Redakteur Eckard Sommer. Er war kaum älter als ich, aber schon lange bei der Presse, während ich als 33-jährige Quereinsteigerin erst nebenberuflich studierte. Er übernahm für mich die sogenannte Zweitlese und trieb mir die schlimmsten ledernen Wortverbindungen aus. Danke Ecki! Ich spreche das ins virtuelle Nirwana, weil ich den Herrn Sommer kurz nach der Wende aus den Augen verloren habe. Sehr schade.
Schüler-Meister, dass ist, wie ich finde, auch heute noch ein wichtiges gesellschaftliches Verhältnis. Ein starkes Bindemittel. Die Jungen denken vielleicht, es gibt Google, was soll ich da noch irgendjemanden fragen. Aber Gespür und Instinkt bekommt man nicht über eine Suchmaschine serviert. Es gab schon einmal solch einen gesellschaftlichen Einbruch, nach dem die Jungen glaubten, die Alten nicht mehr zu brauchen. Es war die Erfindung der Schrift… (pe, 2. September 2017)

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