Eine Buchbesprechung

Heimatlos

Fast vier Millionen Menschen sind zwischen 1991 und 2017 aus dem Osten in den Westen gegangen

„Kosakenberg“, dieses Buch wollte ich unbedingt lesen, denn es erzählt die Geschichte einer Frau, die Anfang der 90er, wie tausendfach andere junge Menschen, ihre alte Heimat verlassen hat. Nur nicht umsehen – dieses Spannungsfeld interessierte mich. Doch ich war enttäuscht von der Heldin Kathleen, einer vollkommen zerrissenen Person, die sich vornehmlich am Statusdenken des Westens orientiert und sich für ihre Herkunft schämt. Ihre belehrenden Auftritte bei Heimreisen verstören und assoziieren ein Fremdsein auf vertrautem Terrain – beiderseits. Es ist, als ob ein allseitiger Vorwurf in jedem Gespräch im Heimatdorf mitschwingt. Und während sich die Fortgegangene als Verräterin fühlt und eine Rückkehr als Niederlage ansieht, schaffen sich die Zurückgebliebenen neue familiäre Ersatzbündnisse. Da ist diese alte Schulfreundin, die nicht mit hinüberwuchs ins Erwachsensein und zur rätselhaften Heileier-Händlerin mutierte. Bauernschlau, patent, rücksichtslos und irgendwie Ersatztochter für Kathleens Mutter. Misstrauisch und eifersüchtig beargwöhnt Kathleen diese neue Beziehung… Hier ist am Ende nicht alles gut. Über den Tod der Mutter hinaus, bleiben die zwei Frauen sich wesensfremd. Ein Haus ist wie eine dritte Haut weiß die leibliche Tochter, und das Elternhaus, das Nadine billig kaufte, trägt seither einen Wasserfleck, als würde es weinen.
Die Autorin Sabine Rennefanz schildert uns eine Heldin in der Ferne ohne Mutterboden, die sich ihre Wurzeln wie einen Feind auszureißen versucht, aber darin jämmerlich scheitert. In meinem Magen hinterließ sie nur ein ungutes Gefühl. (pe)

 

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Eine Buchbesprechung

Das Café ohne Namen
von Robert Seethaler

Die Handlung beginnt 1966 in Wien im ärmlichen Viertel um den Karmelitermarkt. Der Tagelöhner Robert Simon hört davon, dass der Pächter der heruntergewirtschafteten Kneipe am Markt aufgibt. Er erfüllt sich einen Traum und verwandelt das schäbige Quartier in ein gepflegtes Café. Von diesem Ort erzählt der Autor Lebensgeschichten. Knapp und konzentriert wie beste Kurzgeschichten, die für sich stehen, aber zusammen eine wunderbare Milieu-Skizze jener Zeit ergeben. Mit Leichtigkeit und einem Schuss Melancholie erzählen all diese menschlichen Auftritte von der Schwere des Lebens. Bittersüß.
Ein Roman über das Werden und Vergehen zu etwas Neuem. Empfohlen wurde er mir der Bestseller von meiner Freundin Ines, mir bescherte er wirklich wohligen Lesegenuss. (pe)

Erschienen ist es hier.

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Buchbesprechung: “Wunderlich fährt nach Norden”

Kultverdächtiges Sommermärchen:
Eine mächtige Matrone lässt Wunderlichs Zug nach Norden stoppen und verweist ihn ins märkische Nirgendwo. Liebesschmerz stieß ihn fort aus Berlin, oder war es Anonym, der aus seinem Handy alleswissend funkt? Irritiert stolpert Wunderlich in das Leben von Finke, einem Kneipenclown, der ihn in seine Welt mitnimmt und dort, in einer abgetakelten und verschlampten Ex-Gastwirtschaft, zum folgenschweren Trinken einlädt, um schlussendlich zu verschwinden. Mysteriös. Dafür taucht das Mädchen Toni auf. Und nicht erst mit ihr entfaltet die Autorin Marion Brasch in ihrem zweiten Roman ein skurriles Alltagsmärchen als wunderliche Reise, in der Wunderlich für uns zum Abenteuer und er selbst zum Abenteurer wird. Langsam, aber keineswegs vorhersehbar. Dabei hilft ihm unbewusst ein Hut, den er aus Finkes Quartier mitnimmt. Der tarnt alle Verletzungen, die alten und die neuerlichen, die sich der Mann in unglaublich kurzen Takten zufügt. Aber in Finkes Garten finden Toni und Wunderlich in einer unglaublichen Sommernacht an einem Apfelbaum das sagenumwobene Blauharz. Ein glimmender Stoff, der alle Wunden spurlos heilt, aber das Wissen darum zugleich auslöscht. Es ist eine Freude, wie Marion Brasch uns in dieses Sommermärchen entführt, mit einem feinen Gespür für das Schräge, das Liebenswürdige, das so manchen Aussteiger umweht. „Wunderlich fährt nach Norden“ ist eine wundervoll leichtfüßig und doch auch verstörend erzählte Geschichte eines lebensuntüchtigen Kauzes, der plötzlich das Leben spürt, ohne zu wissen, wohin ihn das führt. Und die Autorin bewahrt für ihn und für den Leser beschützend dieses Geheimnis. Diese magische Sommerreise ist kultverdächtig und so einfach empfehlenswert.
Petra Elsner
„Wunderlich fährt nach Norden“, Marion Brasch, S. Fischer Verlag, 19,99 Euro

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Wunderlich fährt nach Norden, Marion Brasch, S. Fischer Verlag, 19,99 Euro

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