Falsche Federn – eine Kurzgeschichte (Abschnitt 3 – das Ende)

… Herr Weiß lächelte mysteriös und reichte Hanna die Hand zum Aufstieg. Kaum später hockten sie rücklinks auf der Mauer und lugten in den Nebenhof. Es war herbstklamm und der Müll in den Tonnen roch scharf. Die Frau rümpfte die Nase und zischte: „Jetzt spring schon!“ Während sie auf ihren Füßen landeten, fiel die Feder echauffiert zu Boden, aber Herr Weiß bemerkte den Abgang, bückte sich und flüsterte ihr zu: „Du wirst noch gebraucht!“ Danach steckte sie abermals hinter sein Ohr. Vom Souterrain des Seitenflügels warf ein Fenster einen fahlen Lichtstreifen in das Geviert. Dem folgten sie und der Mann klopfte an das beschlagene Fenster. Knarrend, aber wortlos wurde es geöffnet. Ein hagerer Bäcker lehnte missmutig eine Leiter an das innere Fensterbrett und ging dann leicht gebeugt seinen Verrichtungen nach. Hanna sah verdutzt zu, wie gelassen Herr Weiß in diese Backstube stieg. Ihr war es irgendwie unheimlich, doch sie wollte keine Spielverderberin sein, so kletterte sie ihm hinterher. Ein warmes, mehliges, wundervoll duftendes Reich öffnete sich den Nachtgestalten. Der Meister gab steif den Buttler, legte sich dazu eine Stoffserviette über den rechten Arm, verbeugte sich kantig und wies stumm auf einen Tisch mit zwei Stühlen. Dann verschwand er schlurfend im Nebenraum. Hanna glaubte ihren Augen kaum, als der Mann kaum später Schrippen, Butter, Honig und Kaffee servierte. Ohne ein Wort und mit sauerteigartiger Mimik. Als alles platziert war, klatschte er kräftig in die Hände und eine Wolke Mehlstaub ging über dem Paar nieder. Der Meister drehte sich auf dem Absatz, entfernte sich und hinterließ dabei eine feine, frische Mehlspur. Herr Weiß war jetzt weiß und Hanna auch, die Zwei kicherten.

Hanna biss in diese knackig-würzige, feste Schrippe und nickte wohlwollend: „Lecker, was macht das Teil zur Ostschrippe?“
Herr Weiß, bröselte gelehrig vor sich hin: „Na, so ganz echt sind die auch nicht mehr, doch kommen sie dem Original sehr nahe. Nur so miserables Mehl wie damals verwandt wurde, gibt es hierzulande gar nicht mehr. Jenes Mehl war unbehandelt, wurde von Hand geknetet, blieb ohne Backmittel und der Teig ruhte stundenlang – das ergab dieses wunderbare Naturprodukt, das zum Mythos wurde.“
Der Bäcker stimmte nickend zu, als er wieder an den Tisch trat und Kaffee nachschenkte. Plötzlich brummte er: „Na, wo ist es?“
„Wo ist was?“, wollte Herr Weiß wissen.
„Na, das versprochene Etwas aus deinem Stück, mein Lohn für dieses nächtliche Frühstück?“
Herr Weiß griff nach der Feder, pustete das Mehl von ihr ab und gab sie dem fordernden Mann. Der steckte sie sich lächelnd an die Bäckermütze und zog sich zurück. Währenddessen spürte Konstantin Weiß, dass sich der Narr in ihm just in diesem Augenblick davon gemacht hatte. Er wurde unsagbar müde und sein Glanz erlosch. Hanna sah jetzt einen abgetakelten Alten vor sich, der eingeschlafen war. Sie fand, es wurde Zeit dem Schrippen-Abenteuer zu entfliehen. Leise stieg sie aus dem Fenster und kletterte zurück in den Nebenhof. Als sie draußen vor der Tür stand, blickte sie nach der Fassade des verschlossenen Hauses. In großen Lettern war da „Bäckerei Weiß“ zu lesen und der jungen Frau dämmerte es.

© Petra Elsner (Text & Zeichnung)
27. März 2019

Visits: 818

5 Gedanken zu „Falsche Federn – eine Kurzgeschichte (Abschnitt 3 – das Ende)“

  1. Es gibt eine Geschichte von Waltraud Lewin ” Die Zaubermanagerie”

    Ihr Mehl darin ist mir Edelsteinen untersetzt und muss unbedingt gesiebt werden, damit dies unbrauchbare Zeug nicht im Teig landet.

    Deine Geschichte erinnert mich an diese andere.

Schreibe einen Kommentar zu Petra Elsner Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.