Morgenstunde: Die 6. Kurtschlager Edition entsteht (150. Blog-Notat)

Das Layout auf dem Bildschirm

Freitagabend hab‘ ich mich dem Layouten begonnen, das ist wirklich Sisyphusarbeit. Dreimal gemessen, dreimal gezählt und doch dreimal nicht die richtige Lauffolge erwischt. Nach 22 Uhr hatte ich die Schn… voll. Uff. Heute Morgen hab‘ ich noch einmal von vorne begonnen. Es ist eben kompliziert auf einem Faltblatt immer zwei vordere und zwei hintere Seiten zu bedenken. Zumal – wenn man Textstücke umstellt, verrutscht alles und da liegen die Fehlerquellen. Zu guter Letzt hab‘ ich auf einem gefalteten Ausdruck die Korrekturen vorgenommen (z.B.: Text von Seite 7 auf Seite 22…) und nach dieser Ansicht die Dinge auf einer Dateikopie umgestellt. Danach war es fehlerfrei, glaube ich 😊. Nach einem Probestück gab es dafür Gewissheit und inzwischen ist das erste, handgebaute Künstlerheft fertig. Hundert Stück möchte ich für die 6. Kurtschlager Edition bis zum Tag der offenen Tür (5. Mai) fertig haben. Das wird schon 😊.

Der Bausatz:                                             Die Bindung:
 

Das erste Teil ist fertig. Ein handgefertigtes Künstler-Heft kostet 7 Euro und ggf. 85 Cent Versandtkosten

Und hier die ganze Geschichte im Zusammenhang und nicht wie Anfang März  im Blog als Schaffensabschnitte (aber die waren eben 1:1 – live, was man öffentliches Arbeiten nennt):

Vaters Bademantel
Eine Kurzgeschichte für Erwachsene

Es kam ganz anders, als sie es erwartete hatte. Sie war nicht gestorben. Stattdessen gluckste etwas, man könnte auch sagen, es rülpste frech. Wo? Ihr Blick wanderte durch das Weiß des Zimmers: Ein Krankenbett, ein fahrbarer Beistelltisch, ein Stuhl, darauf ihr gestreifter Bademantel. Den hatte sie mitgenommen, als ihr Vater ihn nicht mehr brauchte. Wenn Tine ihn anzog, fühlte sie sich von ihm irgendwie beschützt. Es rülpste wieder und die Frau neigte ihr schmales Antlitz, über dem ein gigantischer Kopfverband thronte, langsam abwärts. Zu der Bademanteltasche, daher schien das Geräusch zu kommen. Aber Tine konnte nicht nachsehen, ihre Arme lagen fest bandagiert neben ihrem langgestreckten, dürren Körper, sie kam sich wie eine Mumie vor.
„Hey, du Rülpser, hast wohl die letzte Flasche von meinem alten Herrn gefunden?“ Tatsächlich hatte Tine den letzten Flachmann, den der Vater nicht mehr hatte trinken können, weil ihn die Chemo innerlich auffraß, nie entsorgt. Nach jedem Waschgang steckte sie ihn wieder in die ausgedröselte Tasche, so war der Mantel perfekt. Und jetzt hatte sich jemand an der Flasche vergriffen?
„Zeig dich, du Rülpser!“ Das Etwas regte sich nicht, es knurrte ärgerlich, kaum später schnarchte es leise und der moosgrüne Bademantelstreifen atmete.
Tine schloss die Augen und träumte sich in den Irrgarten des vergangenen Tages.

Bilderfetzen von ihrem Motorradunfall sausen durch ihr Hirn. Auf der Gegenspur überholt ein Wagen in der Kurve. Vor ihr plötzlich ein Traktor mit Hänger – überbreit, sie kann nicht ausweichen und zieht nach rechts: Scheppern, Rutschen, Fliegen, ein Rapsfeld, überall Gelb und Schmerz.
Als sie wieder zum Stuhl hinübersah, lugte eine blaue Maus aus der Flachmanntasche. Sie schwankte beim Hinauskrabbeln und Tine dachte: Doppelblau. „Hey, du Rülpser, was hast du genommen, dass du so voll blau aussiehst? Und was machst du in meinem Bademantel?“
Die Maus sah zu der Frau mit dem weißen Turban hinüber und kratzte sich verlegen das linke Ohr. Es war jenes, dass ein wenig schlechter hörte. „Dein Mantel? Der alte Badelumpen sah so einladend aus, irgendwie sprittig. Eher wie das Teil von einem alten Säufer und zu dem hätte ich doch gut gepasst – oder?“
Tine lächelte: „Gehörte einem alten Säufer, aber jetzt ist er meiner. Schon ziemlich lange.“
„Sieht man, aber 50er-Jahre-Look ist ja kolossal modern, er musste mir einfach gefallen, auch wenn er schon etwas schäbig ausschaut.“
„Verstehe, und jetzt bist du eingezogen und hoffst, dass ich dir den Flachmann täglich nachfülle?“
„Vielleicht“, säuselte die blaue Maus, „aber das hab‘ ich nicht nötig. Ich bin die Bademaus vom Krankenhaus und habe Zugang zu den medizinischen Alkoholitäten. Zwei Sprühspritzer reichen mir eigentlich am Tag. Der Flachmann war nur ein erfreuliches Fundstück.“
„Und du meinst nicht, ich hätte den noch gebrauchen können?“
„So wie du aussiehst, dachte ich, du rollst gleich einen Gebetsteppich gen Osten aus, so eine braucht keinen Alkohol.“
„Ich kann nicht rollen.“
„Wieso nicht?“
„Meine Arme sind gebrochen.“
„Oh, aber sonst würdest du gen Osten …?“
„Nein!“
„Au, verflixt, dann muss ich dir einen neuen Flachmann besorgen?“
„Nein, ist nicht nötig!“
„Wär‘ aber kein Problem, du hast ja gar keine Vorstellung, wie viele kleine Pullen hier in den Bademänteln schlummern.“
„Doch.“
„Und woher weißt du das?“
„Mein Vater war Säufer.“
„Ach, ja, aber dann hast du bestimmt auch Geduld mit einer blauen Seele?“
„Hab‘ ich.“ Nach diesen Worten fiel Tine wieder in einen langen Schwächeschlaf.

Stunden waren vergangen und niemand hatte das Zimmer 30 auf der 2. Krankenhausebene betreten. Offenbar war das Personal einfach mal dankbar, dass aus diesem Raum nicht alle 10 Minuten der rote Klingelknopf nach ihm rief. Und so hatten die Schwestern im Handtieren mit all den Blutdruckgeräten, Bettpfannen und Kotztüten vergessen, dass die Patientin gar nicht nach ihnen hätte klingeln können, mit zwei Armen im Streckverband. Aber daran dachte gerade gar keiner.

Der blauen Maus wurde es unheimlich, denn die Turban-Frau atmete schwer und ihr Gesicht glühte hochrot. Die Maus nippte die letzte Neige aus dem Flachmann, sozusagen als Mutmacherschlückchen, dann rutschte sie am Bademantelgürtel abwärts und drückte blitzschnell die Rufklingel. Das war der Moment, in dem Oberschwester Vera von ihrer statistischen Dokumentation des Pflegenotstandes aufblickte und erschrak: Herrje, die Nummer 30! Schnellen Schritts war sie über den Flur gefegt und hatte im Nu die kleine Nische zum einzigen Einzelzimmer der Station erreicht, dass nur sehr schweren Fällen vorbehalten war. Hastig griff sie nach der Türklinke und bekam Herzklopfen. Die Frau fieberte und ließ sich nicht wecken. Die Chefschwester drückte ihren Notfallpieper, kaum später stand die Stationsärztin neben ihr. Zitternd hockte die blaue Maus in ihrem Bademantelversteck und hörte nur die Aufregung: „Der Hirndruck steigt! Sie fällt uns in Koma! Sofort auf die Intensiv!“ Metallgitter schepperten, Rollen ratterten, die Tür flog ins Schloss – Stille. Als die Maus über den Taschensaum linste, war das Bett verschwunden.
Die Tür öffnete sich erst wieder mit der Runde der Putzfrau. Dass war die Gelegenheit für die Bademaus, sich neue Gesellschaft zu suchen. Oder vielleicht doch erst mal ins Kellergeschoss, zum Desinfektion-Lager? Wohl besser für ihren Pegel. Es befand sich just dort, wo einst das alte Wannenbad des Krankenhauses war. Ein Ort der Kräuterwasser und Schlammbäder, aber so etwas praktizierte man hier schon lange nicht mehr. Am letzten Arbeitstag der Badefrauen bekam die Maus ihren neuen Aggregatzustand. Und das kam so: Die gekündigten Frauen hatten sich zum Abschied eine Flasche Blauer Würger am Pausentisch geteilt und weinten sich zwischen all ihren Quietscheentchen und dem Bademäuschen aus Gummi die Seele aus dem Leib. Klara hatte nicht mehr so recht den Durchblick, als ihr beim Nachschenken die Flasche aus der Hand glitt und ein Schwall kristallklarer Wodka die Maus traf. Als die Frauen gingen, blieb sie in dieser

hochprozentigen Pfütze zurück und ihre Verwandlung begann. Erst regte sich Leben in ihr, dann kam die Farbe. Seither geisterte sie durch die Zimmer und Flure und wirklich jeder einzelne des Krankenhauspersonals war ihr dabei schon einmal begegnet, aber keiner wagte es, darüber zu sprechen.

Zwei Tage später rollte die Turban-Frau mit ihrem Bett zurück in das Einzelzimmer. Sie schien zu schlafen, während die Schwestern ihr Krankenlager hin und her rangierten. Vera streichelte im Vorbeigehen den hastig atmenden Bademantelstreifen, der sich moosgrün beulte: „Na, Bademäusel, bist du wieder eingezogen und hältst Wache? Das ist gut. Du hast vorgestern der Frau das Leben gerettet, ich bin dir sehr dankbar dafür.“ Vera entschwebte und die blaue Maus grinste breit und glücklich.
„Du hast mir das Leben gerettet – Bademäusel, echt, wie?“, stöhnte die Turban-Frau aus ihren Kissen.
„Ich hab‘ nur den roten Klingelknopf betätigt, mehr nicht!“
„Das war wohl zur rechten Zeit, ich danke dir.“
„Keine Ursache.“
„Wie kommst du denn zu dem schönen Namen Bademäusel? Genauso nannte mich mein Vater in den Ostseeferien?“
Das war die richtige Frage für den kleinen Nager, die ihm noch niemand gestellt hatte. Endlich konnte er jemand in sein großes Geheimnis einweihen. Und so erzählte er ihr aus dem Dunkel der Tasche die seltsame Verwandlungsgeschichte vom Gummibademäusel zur lebendigen, blauen Maus. Die Turban-Frau lauschte interessiert.
„Geht es dir besser?“, fragte die Maus und schaute dazu wieder aus der Flachmanntasche.
„Ja, der Kopf brummt noch ein bisschen, dafür sind die Armbrüche jetzt gut verschraubt. Aber sie würden schneller heilen, wenn ich mein Knochenkraut hätte.“
„Was für ein Knochenkraut?“, fragte die blaue Maus hellhörig.
„Beinwell.“
„Oh, das ist aber sehr, sehr lange her, dass die Badefrauen diese rauen Blätter zum Heilen benutzten“, sinnierte die blaue Maus. Ich wüsste gar nicht, wo man die heute noch herbekäme.“
„Aus meinem Garten“, antwortete die Turban-Frau tonlos. Sie war inzwischen schon wieder sehr schlapp-müde, als sich die Tür öffnete und ein riesiger Mann, gepresst in lack-schwarzes Leder, in den Raum schaute: „Biker-Tine, hallo, lebst du noch?“
„Gerade so.“

„Das wird schon wieder“, druckste der Leder-Mann und sprach stakkato weiter: „Hab‘ dir das Bike gebracht. Steht in der Tiefgarage. Is‘ runderneuert. Versicherung zahlt‘s. Also keine Sorge, hier ist der Schlüssel. Liegt noch was an?“
„Nö, Max, hab alles. Danke fürs Schrauben und Bringen!“ Tine reichte dem Biker-Freund zum Abschied die Hand. Sie sah noch ziemlich zerbrechlich aus, was für den Leder-Mann ein nicht gut auszuhaltender Anblick war. Er verehrte die Biker-Tine als starke Frau, die hingeraffte Turban-Gestalt verstörte ihn nur, also stellte er wortlos den frischlackierten Helm auf den Beistelltisch und verabschiedete sich rasch wieder.
„Biker-Tine“ heißt du also. Ist aber auch ein seltsamer Name,“ fand die blaue Maus als sich die Tür schloss.
„Ist nur mein Spitzname unter Motorradfreunden. Früher, als ich noch im großen Revueballett tanzte, da hieß ich Hüpf-Tine und jetzt bin ich für alle nur noch die Kräuter-Tine.“
„Du kennt dich mit Kräutern aus? Ich auch. Ich weiß alles über Kräuterbäder. Gehört sich so für ein ordentliches Bademäusel.“ Und es begann zu dozieren: „Ein Rosmarinbad wirkt belebend und entzündungshemmend, Thymianbäder sind super gegen allerlei Entzündlichkeiten der oberen Luftwege. Melisse und Lavendel bringen Beruhigung und ein Salbeibad hilft bei unreiner Haut. Aber ach, inzwischen hab‘ ich schon so viel vergessen, weil ich schon lange keine Aufgüsse erlebt habe. Ein Schlammassel ist das, ich bin eine Bademaus ohne Aufgabe,“ seufzte die blaue Maus.

Tine lugte aus ihren Kissen und wirkte dabei überraschend unternehmungslustig: „Ich bin ausgebildete Kräuterpädagogin und könnte schon so ein allwissendes Bademäusel gut gebrauchen. Bei meinen Wochenendkursen im Gartenhaus. Es geht dabei um die richtige Anwendung von herkömmlichen Hausmitteln. Kräuterbäder werden dabei auch bereitet. Im Sommer gibt’s immer die Aufgüsse der besonderen Art: Schwarze Johannisbeere auf Kristallwodka und sowas. Alle möglichen Geist-Sorten“
„Echt!“, staunte die Maus und wurde ganz hippelig. „Du würdest mich mitnehmen und ich könnte in der Flachmanntasche weiterwohnen – ganz offiziell?“
„Wenn du willst. Außerdem müsstest du deine blaue Seele auch nicht mehr verbergen, du weißt ja, mein Vater war Säufer, ich weiß Bescheid.“

Zeichnungen: Petra Elsner

© Petra Elsner
2019

Hinweis zum Urheberrecht: Der Text darf ohne Angabe des Urhebers nicht weiterverwendet oder kopiert werden. Auch das Zitieren von Textstellen bei Veranstaltungen bedarf meiner Genehmigung.

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